Erfundene Straftatbestände

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Zu häufigen Irrtümern von Reichsbürgern, Staatsleugnern oder Staatsverweigerern gehört die Annahme von Straftatbeständen, die tatsächlich nicht existieren oder aber eine völlig falsche Auslegung existierender Normen, die zu unbrauchbaren Ergebnissen führt.

Auszug einer Strafanzeige des Rüdiger Hoffmann.

Allgemeines

Die Reichsbürger-Szene und verwandte Bewegungen beklagen immer wieder, dass Behörden, Gerichte und namentlich das Sonnenstaatland Straftaten gegen sie begehen würden. Zumindest einige Angehörige dieser Szenen reagieren mit Strafanzeigen auf diese angeblichen Straftaten. Der unerreichte Meister ist dabei Rüdiger Hoffmann, der nahezu täglich Strafanzeigen einreicht - selbst bei ersichtlich völlig unzuständigen Stellen.

Häufig beziehen sich diese Strafanzeigen (auch) auf Straftatbestände, die es gar nicht gibt. Stattdessen ist die angebliche Strafbarkeit des angezeigten Handelns frei erfunden. Zuweilen werden die Straftatbestände auch völlig falsch verstanden oder nur fragmentarisch erinnert. Die rechtlichen Ausführungen sind daher oft vollständig unbrauchbar.

Daher werden diese Anzeigen von den Staatsanwaltschaften regelmäßig nicht an die Hand genommen. Dennoch müssen sie aber Einstellungsverfügungen verfassen und den Urhebern der Anzeigen zustellen, was unnötig Kräfte bindet.[1] In Deutschland wie in den umliegenden Staaten gilt seit Jahrhunderten der dem römischen Recht entnommene Grundsatz: "Nullum crimen sine lege" bzw. "nulla poena sine lege": "kein Verbrechen ohne gesetzliche Grundlage", "keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage". Die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens muss durch allgemeines Gesetz vor Begehung der Tat bestimmt worden sein, sonst ist eine Bestrafung nicht zulässig. Dies ist unter anderem auch in Art. 7 EMRK, Art. 103, Abs. 2 GG und § 1 StGB festgelegt. Dies bedeutet, dass es zu jeder Zeit einen abschließenden Katalog von Straftatbeständen gibt. Jedes Verhalten, das nicht unter einen dieser Tatbestände fällt, ist nicht strafbar. Eine Ausweitung bestehender Straftatbestände ist ebenfalls nicht erlaubt, was als Analogieverbot bezeichnet wird.

Überblick über erfundene Straftatbestände

Entehrung

Unter den Klingonen ist die Entehrung eine Strafe.

Der Straftatbestand, der dem Vorwurf der "Entehrung" am nächsten käme, wäre wohl die Beleidigung nach § 185 StGB. Dieser ist aber eng begrenzt und stellt letztlich nur Äußerungen und Verhalten unter Strafe, durch die der Täter seine Missachtung des Opfers als Person zum Ausdruck bringt. Auch, wenn Staatsleugner eine Menge gegen sie gerichtete Handlungen als zutiefst kränkend empfinden mögen, bedeutet das noch lange nicht, dass die Handlungen selbst rechtswidrig oder gar strafbar wären. Auch an dieser Stelle beweisen Reichsbürger ihre Rechtsunkenntnis.


Plünderung

Das Eintreiben von Bußen, Geldstrafen, Steuern und Abgaben sowie sonstiger Schulden aller Art durch Gerichtsvollzieher und andere einschlägige Behörden bezeichnen Reichsbürger gerne als "Plünderung".

Völkerstrafrechtliche Bedeutung

In der Tat verbietet die Haager Landkriegsordnung in Art. 47 den Staaten Plünderungen. Plünderung ist laut Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. xvi) IStGH Statut bzw. Art. 8 Abs. 2 lit. e Nr. v) IStGH Statut sowohl im internationalen, als auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt ein "schwerer Verstoß gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im bewaffneten Konflikt" und damit ein Kriegsverbrechen. Nach deutschem Recht ist die Plünderung gemäß § 9 Abs. 1 VStGB unter Strafe gestellt; die offizielle Bezeichnung des Delikts lautet jedoch schlicht Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte.

Kriegsverbrechen können jedoch nur im Krieg, d.h. im bewaffneten Konflikt begangen werden. In Europa, insbesondere in Deutschland, herrscht jedoch Frieden. Eigentumsverletzungen können daher regulär mit "einfachem" Strafrecht verfolgt werden. Ein Rückgriff auf das Völkerstrafrecht ist unnötig.

Nationalstrafrechtliche Bedeutung

Plündern ist außerdem eine Begehungsweise des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs gemäß § 125a S. 2 Nr. 4 StGB. Das setzt die Begehung eines Landfriedensbruchs gemäß § 125 StGB voraus. Als Landfriedensbruch bezeichnet man Gewalttaten (oder Drohung mit Gewalt), die mit vereinten Kräften aus einer Menschenmenge heraus begangen werden. Zusätzlich müssen diese Handlungen die öffentliche Sicherheit gefährden. Als Landfriedensbruch bestraft werden kann auch die Einwirkung auf eine Menschenmenge, um deren Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern.

All das trifft auf die Vollstreckungstätigkeit von Staatsanwaltschaften, Gerichtsvollziehern oder Polizeivollzugsbeamten nicht zu. Da diese Tätigkeiten durch die Gesetze gedeckt sind, fehlt es ihnen an Rechtswidrigkeit. Wenden die Vollzugsorgane tatsächlich körperliche Gewalt an, so geschieht das im Einklang mit den Gesetzen und ist daher nicht verboten und auch nicht strafbar.

Fazit

Das Eintreiben von berechtigten Forderungen auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg ist insgesamt keine Straftat. Die Tätigkeit von Gerichtsvollziehern oder sonstigen eintreibenden Beamten ist nicht verboten, nicht strafbar und erst recht kein Kriegsverbrechen. Indem man sie als Plünderung oder Diebstahl bezeichnet, beabsichtigt man natürlich, die Beamten in ihrer Ehre herabzusetzen, ohne dafür belangt zu werden.

Siegelbruch

Der Straftatbestand Siegelbruch existiert in § 136 StGB tatsächlich. Durch ihn werden dienstliche (etwa polizeiliche) Siegel geschützt, die angelegt wurden, um Sachen in Beschlag zu nehmen (z.B. eine Pfändungsmarke eines Gerichtsvollziehers), dienstlich zu verschließen (etwa eine Wohnung, die als Tatort unverändert bleiben muss und daher nicht betreten werden darf) oder zu bezeichnen (d.h. zu kennzeichnen). Solche Siegel sind eigene Gegenstände (in der Regel Aufkleber). Dienstsiegel im Sinne von Stempelabdrücken auf amtlichen Dokumenten usw. sind nicht gemeint und vom Straftatbestand des "Siegelbruchs" nicht geschützt.

Gängig unter Reichsbürgern ist die Auffassung, ein Siegel (oft ein Dienstsiegel), über dessen Linien geschrieben wurde (etwa mit einer Unterschrift), sei "gebrochen". Die Anhänger dieser Theorie gehen davon aus, dass ein so "gebrochenes" Siegel unwirksam sei und somit sogar dem gesamten Schriftstück die Geltung entziehe. Das ist Unsinn. Ob die Anhänger dieser Theorie auch davon ausgehen, die unterzeichnende Person habe sich mit Überschreiben über das Siegel gleichzeitig strafbar gemacht, wird nicht immer deutlich.

Täuschung im Rechtsverkehr

Entgegen wiederholter Behauptungen von Reichsbürgern gibt es keinen Straftatbestand "Täuschung im Rechtsverkehr". Zwar gibt es einen Straftatbestand "Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung" (§ 270 StGB) im deutschen Strafgesetzbuch, der aber nur eine Begriffsbestimmung und Gleichstellung von Täuschungen mittels Datenverarbeitung mit anderen Arten des Verkehrs enthält. Täuschung im Rechtsverkehr ist vielmehr ein Tatbestandsmerkmal verschiedener Betrugs- und Fälschungsdelikte des deutschen Strafgesetzbuches (§§ 152a, 267, 268, 269, 271, 273, 276, 281 StGB).

Vergewaltigung

Die Vergewaltigung ist gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB strafbar. Entsprechend dem landläufigen Verständnis vom Begriff der Vergewaltigung wird hier das Erzwingen des Geschlechtsverkehrs unter Strafe gestellt.

Im Gegensatz dazu besteht unter Staatsleugnern zuweilen ein äußerst verqueres Verständnis von diesem Begriff, das weder mit dem üblichen Sprachgebrauch, noch dessen rechtlichen Bedeutung etwas gemein hat: Einige Protagonisten (z.B. Carl-Peter Hofmann vom GCLC) bezeichnen beinahe jegliches Verhalten, das auf ihren Willen einwirken soll, namentlich unmittelbaren Zwang durch Vollzugsbeamte, aber auch gerichtliche Ladungen oder nur behördliche Schreiben, als "Vergewaltigung". Schon, da diese Handlungen keinen sexuellen Bezug aufweisen, ist das abstrus. Dass sie sich durch die Aussage, von einem Richter, Polizeivollzugsbeamten oder Behördenmitarbeiter "vergewaltigt" worden zu sein (oder gar durch die Bezeichnung derselben als "Vergewaltiger") selbst der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (etwa wegen Verleumdung nach § 187 StGB) aussetzen, ist ihnen augenscheinlich nicht bewusst – oder sogar gleichgültig.

Verletzung von Menschenrechten

Ein Zweck des deutschen Staates ist der Schutz der Menschenrechte. Auch durch das Strafrecht werden Menschenrechte geschützt. Einen eigenen Straftatbestand "Verletzung der Menschenrechte", der die Gesamtheit der Menschenrechte unter strafrechtlichen Schutz stellt, gibt es jedoch nicht. Stattdessen bestehen spezielle Straftatbestände, die die Verletzung von Menschenrechten jeweils einzeln unter Strafe stellen (so etwa die Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB, die vor der Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch Staatsorgane schützt).

Völkermord

Zunehmender Beliebtheit erfreut sich auch die Behauptung, selbst Opfer eines „Völkermords“ oder als Angehöriger des deutschen Volkes von einem „Völkermord“ bedroht zu sein, der sich gegen das Volk in seiner Gesamtheit richte. Als einzelne Tathandlungen werden so unterschiedliche Vorgänge aufgeführt wie das Aus- oder Zustellen behördlicher Akte, vor allem wenn sie die Empfänger finanziell belasten, ihnen etwas untersagen oder auferlegen (z. B. Geldstrafen, Ordnungsbußen, den Entzug von Fahrerlaubnissen, Waffenbesitzkarten und Waffenscheinen u. dgl.). Vollstreckungshandlungen durch Gerichtsvollzieher oder Polizei, aber auch die Zuwanderung von Ausländern, Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern oder eingebürgerten Deutschen, Vergewaltigungshandlungen durch Ausländer und vieles andere mehr gehören ebenso zu beliebten Tatbeständen des „Völkermords“. Völkermord existiert zwar tatsächlich als Straftatbestand, aber Akte deutscher Behörden gegen in Deutschland lebende Deutsche, seien sie nun berechtigt oder nicht, stellen per definitionem keinen Völkermord dar. Auch die übrigen als Völkermord hingestellten Vorgänge, so bedauerlich sie im Einzelfall vielleicht sein mögen, stellen keine Völkermorde dar. Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 definiert in Artikel II Völkermord wie folgt:[2]

   In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:
   (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
   (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
   (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
   (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
   (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch wird diese Definition nahezu wörtlich als Straftatbestand umgesetzt:[3]

   § 6 Völkermord
   (1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
   1. ein Mitglied der Gruppe tötet,
   2. einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
   3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
   4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
   5. ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt,
   wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
   (2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 bis 5 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

Diese Bestimmungen zeigen deutlich, dass nicht jedes Verhalten, das jemand als gegen sich gerichtet und als unangenehm empfindet, Völkermord darstellt. Namentlich Handlungen deutscher Behörden und Gerichte, die in Einklang mit dem geltenden Recht stehen, als „Völkermord“ hinzustellen, kann nur jemandem einfallen, der die Staatsform der BRD als illegitim und als Unrechtsstaat empfindet, sich zudem in einem rasseideologischen Wahn auch noch als Glied des deutschen Volkes durch „fremde“ Mächte bedroht sieht. Mit dem tatsächlichen Straftatbestand hat dies jedoch nichts zu tun.

Willensbruch

Vollstreckungshandlungen aller Art sind dem Vorwurf ausgesetzt, als "Willensbruch" strafbar zu sein.

Zwar gibt es Straftatbestände wie Haus- (§ 123 f. StGB) oder Landfriedensbruch (§ 125 f. StGB), Verstrickungs- bzw. Siegelbruch (§ 136 StGB) usw. – einen Tatbestand "Willensbruch" gibt es jedoch nicht. Stattdessen ist der Bruch des Willens ebenso wie die Beugung des Willens eine Form der Verwirklichung der Nötigung gemäß § 240 StGB bzw. verwandter Straftatbestände. Ein Willensbruch kann daher durchaus zu einer Bestrafung führen – wenn weitere Elemente einer Nötigungstat vorliegen.

Voraussetzung dafür ist aber stets die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Vorgehens. Vollstreckungsmaßnahmen sind aber gerade nicht rechtswidrig, sondern regelmäßig rechtmäßig. Zweck der Staatsgewalt ist es gerade, die rechtmäßigen Ansprüche Dritter auch gegen den Willen einzelner durchzusetzen. Im Falle willkürlicher Maßnahmen greifen andere Vorschriften.

Quellennachweise

  1. Vgl. etwa Waffen-Razzia bei "Reichsbürger": Polizei durchsucht Wohnhaus in Neu Wulmstorf und findet mehrere Schusswaffen (Neue Stader Wochenblatt v. 4.11.2016) zu den Auswirkungen des Treibens von Selim Sürmeli.
  2. Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, deutsche Übersetzung auf der Website der Schweizer Bundesregierung (PDF-Datei; 487 kB)
  3. § 6 VStGB